In der Yogawelt, in der Energieszene aber auch in Managerkreisen gibt es ein weit verbreitetes Werkzeug: Affirmationen. Mit Affirmationen will man sich das ins Leben holen, was fehlt – Gesundheit, Geld, ein Auto, die Liebe, einen Parkplatz … So mancher sagt dann ganz stolz mit dem Gefühl, die universellen Gesetze verstanden und für sich genutzt zu haben: „Das habe ich mir beim Universum bestellt!“ Diese Art des positiven Denkens setzt auf Resonanz. Ich erzeuge durch das Wiederholen eines Satzes („Ich bin reich.“) in mir eine bestimmte Schwingung, also eine Information, die ich nach außen ausstrahle. Nach dem Gesetz der Resonanz ziehe ich auf diese Weise den Inhalt der Affirmation (Reichtum) in der materiellen Welt magnetisch an und in mein Leben. Und hier beginnt das Problem oder eigentlich sind es zwei Probleme.
Die Lüge.
Die positive Affirmation soll die negative Schwingung, die die Krankheit oder den finanziellen oder emotionalen Mangel hervorgebracht hat, heilen und umkehren. Doch wenn jemand, der krank ist, 100 Mal wiederholt: „Ich bin gesund.“, belügt sich diese Person 100 Mal, denn alles in ihr, ihr Unterbewusstsein weiß: „Nein. Das ist doch gar nicht wahr!“ Diese Lüge verursacht Stress (messbar!) und Stress wiederum verursacht Krankheit und raubt Energie, die wir bräuchten, um ein gesundes und erfülltes Leben zu führen. Muss man also ganz auf Affirmationen, auf positives Denken, verzichten? Nein. Aber einen anderen Umgang damit pflegen. Affirmationen sollten nicht den Zweck haben, dass wir alles, was wir nur wollen mit einem Fingerschnippen bekommen. Ein wenig Bescheidenheit ist angesagt, auch bei der Formulierung des Satzes. Das positive Denken geht zurück auf Émile Coué und seine glaubhafte Affirmation: „Es geht mir jeden Tag in jeder Hinsicht besser und besser!“. Diese „weiche“ Formulierung können wir annehmen und wir öffnen uns ihrem Inhalt, denn in ihr liegt eine wahrscheinliche Möglichkeit, die sich noch entwickeln kann, anstatt zu behaupten, ab sofort sei alles gut. Das ist wie zu lächeln, obwohl es einem schlecht geht; das macht krank.
Eine weitere Möglichkeit ist diese: „Ich wünsche mir von ganzem Herzen, die Prüfung im Mai erfolgreich zu bestehen und ich weiß, dass das möglich ist.“ Und dann stellt man sich die Situation der gemeisterten Herausforderung vor. Hier kommen Herz und Fühlen ins Spiel. Sobald wir aus der Affirmation eine mentale und emotionale Erfahrung werden lassen, ein Bild, das wir sehen, eine Freude und Dankbarkeit, die wir spüren, ist da kein Satz mehr, mit dem wir uns belügen, sondern eine Vision, die unser Herz hüpfen lässt und uns mit unseren Sinnen spüren lässt, wie sich die Zukunft anfühlen wird.
Das Schattenprinzip.
Rüdiger Dahlke öffnet noch einen weiteren Blickwinkel auf dieses Thema. Die „Affirmations-Akrobaten“ (Zitat Dahlke) vergessen, dass es neben dem Resonanzprinzip ein noch mächtigeres, darüber stehendes Prinzip gibt: das der Polaritäten. Es gibt von allem zwei Seiten: Licht/Dunkel, Leben/Tod, oben/unten, krank/gesund …. Mit Affirmationen versuchen wir, die negative Schattenseite zu verbannen, um das Gute zu bekommen und vergessen dabei, dass zur Vollständigkeit immer auch der Gegensatz (der andere Pol) gehört. Wenn wir den unerwünschten Teil willentlich ausklammern, den Schatten durch das Lichtvolle verdrängen, wird sich der Schatten irgendwann mit Macht durchsetzen. Denn wie beim taoistischen Yin&Yang-Zeichen streben die Pole in den Ausgleich, in die Harmonie, um sich zu ergänzen. Diese Gesetzmäßigkeit durchzieht unser ganzes Leben. Das Herz zieht sich zusammen und öffnet sich, wir atmen ein und dann aus. Die Nacht löst den Tag ab, damit wir aus der Aktivität (Yang) in die Ruhephase (Yin) wechseln können. Wir alle wissen, was geschieht, wenn wir diese Gesetzmäßigkeit nicht beachten, wir brennen aus, Burnout. Durch die Vereinigung von Gegensätzen, Frau und Mann, entsteht neues Leben. Das ist ein allgemeines Prinzip: Wenn wir in unserem Leben die Gegensätze zusammenbringen, eine Balance herstellen, kann Neues entstehen in Form von Entwicklung, Kreativität, Energie. Wenn also jemand krank ist und er einfach nur ganz schnell gesund werden und wieder funktionieren will, schließt er den Schatten aus und damit die Ursache der Krankheit. Wenn dieser Jemand ganzheitlich und nachhaltig heilen will, geht das nicht, ohne zu ergründen und zu verstehen, warum diese Krankheit da ist. Dabei geht es darum zu verstehen, welches Verhalten, welche Gedankenmuster oder Gefühle haben den Stress verursacht, der zur Krankheit geführt hat? Wer diesen Weg geht, wird ein tiefes Verständnis für sich selbst und sein Leben mitnehmen, kann aktiv das, was sich als schädlich herausgestellt hat, verändern. Dann wird der Schatten nicht überspielt, sondern angehört, ernst genommen, integriert und transformiert - und genau das ist unser eigener Nährboden für Entwicklung und Veränderung.
Die strahlendste und reinste Blume kann nicht existieren, ohne ihre Wurzeln tief unten im dunklen, dreckigen Schlamm zu verankern:
„Ohne Schlamm kein Lotos“ ~ Thich Nhat Hanh
Zum Weiterlesen:
Thich Nhat Hanh: „Ohne Schlamm kein Lotos – Die Kunst, Leid zu verwandeln.“
Rüdiger Dahlke: „Das Schatten-Prinzip: Die Aussöhnung mit unserer verborgenen Seite.“
Alex Loyd: „Der Healing Code“