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Musik und Yoga: ON oder OFF?

Von Kind an war mir Musik immer wichtig. Eine Welt ohne Musik könnte ich mir nicht vorstellen und bei Nietzsches Worten „Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum geht mir das Herz auf. Yoga jedoch ist von Natur aus eine Praxis der Stille. Nach dem Achtgliedrigen Pfad Patanjalis ist „Pratyahara“ die 5. Stufe und bedeutet: Rückzug der Sinne. Wenn diese Stufe gemeistert ist, folgen darauf „Dharana“ (Konzentration), „Dhyana“ (Meditation) und schließlich „Samadhi“ (Versenkung, Sammlung) und damit Erleuchtung. Das würde also bedeuten, dass wir, wenn wir unsere Sinne nicht zurückziehen und nach innen richten können, auf dem Pfad zur Erleuchtung und der Befreiung von Leid nicht weiterkommen. Wenn während unserer Yogapraxis immer Musik läuft, nehmen wir uns grundsätzlich die Chance, Pratyahara & Co zu erlangen, weil wir durch das Zu-/Hören im Außen bleiben?

 

Jein.

 

Hierzu eine kleine Anekdote.

Als ich vor einigen Jahren in New York war, dem Geburtsort des Jivamukti Yogas, war ich neugierig und ging in die Gründungsschule dieses Stils. Und das war absurd! Erst einmal. Während der Yogaklasse lief ununterbrochen laut Musik: Nach Beethoven kam Kanye West und dann ein Mantra undsoweiter... Der Lehrer trug ein Headset, um die laute Musik übertönen zu können (ja, liebe°r Leser°in, lach ruhig, musste ich damals auch) und er redete ohne Pause: Erklärungen zu den Positionen, Philosophie und schließlich verglich er Atem mit Krieg. Da beschloss ich, nicht mehr zuzuhören, horchte aber noch einmal auf, als der Lehrer erklärte: „Ich rede absichtlich so viel und die Musik ist so laut, damit in euren Köpfen nichts anderes mehr ist als das. Keine Gedanken und kein Lärm von draußen.“ In diesem Moment wurde mir bewusst: Das ist modernes, urbanes Pratyahara. New York ist „die Stadt, die niemals schläft“, laut, Autos, Sirenen, immer hell beleuchtet, zu jeder Tages- und Nachtzeit sind Menschen unterwegs. Wie soll man da Pratyahara im klassischen Sinne üben? Seit dem Entstehen des Yogasutras samt Achtgliedrigem Pfad sind weit mehr als 2000 Jahre vergangen. Die meisten von uns führen kein Eremitenleben, es gibt kaum ganz ruhige Orte, an denen sich unsere Sinne zurückziehen könnten und wenn doch, haben wir dort meist noch immer einen Fernseher und W-Lan. Bevor sich unsere Sinne zurückziehen können, ist es in unserer heutigen Zeit oft zunächst wichtig, dass sie sich fokussieren und dadurch beruhigen können. Wenn die Nachbarn Schlagzeug spielen, die Kinder sich im Nebenzimmer streiten, der Straßenverkehr dröhnt und hupt und so die Aufmerksamkeit des Geistes in alle Richtungen gezogen wird, kann es hilfreich sein, Musik zur Yogapraxis anzustellen, damit sie alles andere übertönt und unsere Aufmerksamkeit bündelt, indem wir ihr zuhören. Nicht selten brauchen wir auch dabei Hilfe, den inneren Lärm zu übertönen: kreisende und nie enden wollende Gedanken aus dem informationsgefüllten Alltag. Wenn Stille doch mal vorhanden ist, kann sie schrecklich laut werden. Musik kann auch hier einen anderen Fokus bringen, die Sprunghaftigkeit der Gedanken bündeln und auf die Musik während der Bewegung ausrichten.

 

Musik kann aber noch viel mehr sein als die Allzweckwaffe gegen äußeren und inneren Lärm. Sie kann uns unterstützen, an bestimmte Emotionen zu gelangen, sie kann uns weinen lassen, wenn wir Trauer nicht zulassen können, sie kann uns Halt geben, wenn uns gefühlt die Erde unter den Füßen fehlt, sie kann uns zeigen, wo unsere Freude ist, wenn wir sie verloren haben. Manchmal ist Musik vielleicht sogar die einzige Motivation, auf die Matte zu gehen. Das ist besser, als gar nicht zu üben.

 

Musik ist weit mehr als nur Ablenkung. Sie ist Information und je nachdem, welche Musik wir hören, informieren wir unser gesamtes System, das durch die Schwingungen der Musik und die ausgelösten Emotionen reagiert.

Wenn ich also Musik im Yoga verwende, dann immer mit Beadacht. Auch wenn ich meine musikalischen Vorlieben habe, so würde ich doch nie Bowie oder KoRn mit auf meine Yogamatte nehmen. Die Musik im Yoga halte ich möglichst neutral: keine Popmusik, auch keine klassische. Die sind zu sehr vom subjektiven Geschmack abhängig, zudem oft an private Erinnerungen gekoppelt: Der erste Kuss, eine schmerzhafte Trennung, eine bestimmte Lebensphase. Sentimentalität hat im Yoga nichts zu suchen. Daher setze ich auf Musik, die nicht im Alltag vorkommt und die eine bestimmte kräftigende, lösende oder aktivierende Wirkung hat. Mantren eignen sich ganz wunderbar hierzu – hier kann auch ihre uralte, heilende Kraft wirken und die Yogapraxis bereichern. Oder Ambient ähnliche Musik, die speziell für Yoga aufgenommen wurde und den Flow im Yoga betont, für manchen sogar erst ermöglicht. Es gibt funktionelle Soundscapes wie Binaureal Beats oder die Solfeggio-Frequenzen, die eine subtile, heilende Wirkung auf unser Nervensystem haben.

 

Der Wunsch nach Stille stellt sich nach einem Üben mit Musik ganz oft von selbst ein. Am Ende vielleicht noch ein paar Minuten ohne Hörbegleitung sitzend. Den Lärm von außen vielleicht nicht einmal oder nur von Ferne wahrnehmend. Den inneren Lärm gezähmt wissend. Das ist ein Anfang.

 

 

Meine PLAYLIST für alle Chakren (aus dem Workshop „ChakraJourney“)

 

Muladhara: Erdung, Urvertrauen, Sicherheit

„Kundalini Drum“ von David & Steve Gordon

 

Swadisthana: Lebensfreude, Loslassen, Kreativität

„Devi Mantras“ von Russil Paul

 

Manipura: Selbstbewusstsein, Zentrierung, Kraft und Handlungsfähigkeit

„Dance of the Sword“ von Mata Mandir Singh

 

Anahata: frei schwingendes Herz, Heilung, Selbst-/Liebe, Intuition

„Om mani pedme Hum“ von Craig Pruess | „Immrama“ von Stellamara

 

Vishuddha: Wahrheit, Authentizität, Kreativität (als Ausdruck des Selbst)

„SatNam“ von Sat Kirin Kaur | „SoHum“ von Masood Ali Khan & Yogi Cameron

 

Ajna: Verbindung mit dem Feinstofflichen und höherem Wissen, Intuition

„Eternal Om“ von Dick Sutphen oder „Ultimate Om“ von Jonathan Goldman

 

Sahasrara: Spiritualität, Verbindung mit dem göttlichen/universellen Geist

Stille oder siehe „Ajna“

 

Savasana: Regeneration

„All 9 Solfeggio Frequecies“ von Meditative Mind | „Jewels of silence“ von Ashana

 

Meditation/Chanten:

„Chanting the chakras“ von Layne Redmond