Vom Trauma zum Flow. Rabihs Geschichte. Teil I

Rabih Lahoud ist ein erstaunlicher Mensch. Alles, was ihm in seinem Leben begegnet, nutzt er für seine Entwicklung und Transformation und holt so das Positive darin heraus. Obwohl Rabih in seinem Leben schon viel Schwieriges erlebt hat, darunter als Kind den Krieg im Libanon, ist er einer der nettesten und positivsten Menschen, die ich kenne. Er ist Berufsmusiker, Sänger, Komponist, ist Teil der international erfolgreichen Band MASAA und Dozent an der Musikhochschule in Dresden und an der Mannheimer Popakademie. Und nicht zu vergessen auch  Nichiren Buddhist. Mit ihm spreche ich in diesem ersten Teil über seine wissenschaftliche Arbeit zum Thema „Stimme und Flow“, wie innere Sicherheit entsteht, wie wir Flow erreichen können, was das überhaupt ist und wie er mit dem Vagusnerv – unserem Selbstheilungsnerv – in Zusammenhang steht.

 

 

Rabih, du schreibst aktuell an einer wissenschaftlichen Arbeit zum Thema „Stimme und Flow“. Worum geht es und was fasziniert dich daran?

Bei „Stimme und Flow“ geht es um den Fluss beim Singen. Wie kann ich diesen Flow erreichen, kann man den überhaupt machen oder ist das Zufall? Warum klappt das manchmal nicht, wo sind die Hindernisse?

Mein Forschungshintergrund bei diesem Thema ist transdisziplinär aus dem einfachen Grund, dass ich nicht genau wusste, wo ich mit der Forschung beginnen sollte. Dabei bin ich bei der Flow-Forschung und beim Nervensystem gelandet. Der Hintergrund zu dieser Arbeit ist ein persönliches Erlebnis, das begann also bei mir. Ich wollte dieses Erlebnis verstehen, wollte wissen, was da passiert ist.

 

 

Was war das für ein Erlebnis?

Ich war 26, ich hatte mein erstes Konzert in der Kölner Philharmonie vor tausend Leuten - und das war für mich eine schreckliche Erfahrung. Das war eine musikalische Improvisation, dem Publikum ist das gar nicht so aufgefallen. Aber ich selbst bin in eine lang anhaltende Starre verfallen, während der Aufführung. Ich sage dazu, das waren 'verlorene Kämpfe der Verbindung'. Das war mein Gefühl. Ich konnte nicht mehr singen, ich hatte keinen Zugang mehr zu meinem Körper oder zu den Entscheidungen. Das begann mit einem riesigen 'Innerer-Zweifel-Dialog' in meinem Kopf und endete muskulär mit einer Lähmung meiner Stimme, die sich immer wieder löste und wiederkam. Ich konnte das nicht beeinflussen. Und selbst als zwischendurch die Stimme wiederkam, war das keine schöne Erfahrung, alles war ein Krampf. Diese Ohnmacht, die da passiert ist auf der Bühne, hat sich so sehr in mein Gedächtnis eingebrannt. Und das war mein Startpunkt für meine Recherche.

Denn ich dachte: „Ich will mich aber mit den Leuten durch meine Stimme verbinden! Wo liegt hier das Problem?“

 

 

Singen bedeutet für dich also, dich über die Stimme mit den Menschen zu verbinden? Du bist also kein Sender, der einfach nur was rausgibt, sondern du empfängst auch was? Ein Hin und Her?

Ja, so empfinde ich das. Meistens, wenn die Verbindung zwischen mir und dem Publikum steht, sind beide Seiten sofort da. Wie ein Highway, der von beiden Seiten gleichzeitig befahren wird. Hin und Zurück sind gleichzeitig. Die Sehnsucht, das zu fühlen war für mich immer da. Wie Stephen Porges (Anm. N.S.: Porges hat den Vagusnerv erforscht und die Polyvagaltheorie entwickelt - dass es einen vorderen und hinteren Teil dieses Nervs gibt, der unterschiedliche Wirkungen auf uns hat) sagt: „Die Verbindung ist ein biologischer Imperativ.“ Die Verbindung ist das erste Mittel, das wir aus der Sehnsucht heraus einsetzen wollen. Diese Sehnsucht ist in mir zum Glück so laut gewesen, dass sie mich auf diesen Weg geschickt hat, die Lösung des Problems zu suchen.

 

 

Was sind, ganz kurz gefasst, die Erkenntnisse deiner Recherche?

Jetzt im Nachhinein, durch meine Recherche, weiß ich, was da auf neuronaler Ebene passiert ist und darüber schreibe ich in meinem Buch. Ich bin den Fragen nachgegangen: „Was genau reagiert da, wenn ich nicht mehr reagieren kann? Was passiert im Nervensystem, welche Prozesse laufen in mir ab?“

Bei meiner Suche nach Antworten bin ich auf das autonome Nervensystem gestoßen und habe untersucht, wie man das heute sieht und versteht. Ich bin auf den Vagusnerv gestoßen, auf die Polyvagaltheorie von Stephen Porges, das ist ein neuerer Blick auf unser Nervensystem.

 

 

Der Vagusnerv, unser zehnter Hirnnerv, steuert ja unser Verhalten in Richtung Flucht, Kampf, Starre, wenn wir ein Trauma – so, wie du auf der Bühne damals – erleben. Eine typische Reaktion wäre gewesen, dass du davor flüchtest, sodass du dich nie wieder in einer solch schlimmen Situation befindest. Unsere verletzten Emotionen sagen uns: „Wenn ich das nochmal durchmachen muss, sterbe ich.“, dann sickert das Trauma immer tiefer, wo es unangerührt und dennoch uns beeinflussend herumliegt. Warum bist du nicht geflüchtet? Hast du dich fürs Kämpfen entschieden?

(Rabih lacht) Ja, genau, man hat ja Möglichkeiten, selbst in so einer einer Situation. Ich bin in die Konfrontation gegangen. Zuerst bin ich in den Rückzug gegangen, zum Glück nicht bis in die physische Ohnmacht, das ist innerlich geschehen durch ein Abschneiden von meiner Umgebung: Ich konnte niemanden mehr sehen. Die andere Entscheidung ist zu verkrampfen, aber auf eine Art und Weise, dass man kämpfen will. Dadurch wird beides Verbunden: Der Rückzug und der Wille zu kämpfen. Diese Gegensätze, wenn sie gleichzeitig da sind, verwandelt beide Zustände in Ruhe und Energie.

Im Nachhinein, jetzt, weiß ich, dass ich das immer mehr – und bewusst – einsetzen kann.

Ich weiß: Ich will nicht vor dem Aus durch den Rückzug wegrennen und ich will nicht das Kämpfen bekämpfen. Sondern ich will beide verbinden und nutzen um zu singen. Singen ist ja eigentlich eine Funktion dieser inneren Sicherheit – weil es die Funktion der Verbindung hat. Diese Funktion braucht beides: Energie und Ruhe.

Die wichtige Frage ist: Wie bekomme ich beides?

Die Antwort habe ich bei Stephen Porges gefunden. Er hat festgestellt, dass der ventrale Vagusast genau das tut. (Anm. N.S.: der Verlauf des Vagusnervs über die Vorderseite des Körpers im Ggs. zum rückseitigen Teil, der in Rückzug, Starre, Kampf führt) 

 

 

Aktuell schreibst du über den Flow beim Singen. Das ist das absolute Gegenteil deiner damaligen Bühnenerfahrung. Was ist eigentlich Flow und wie hast du es bis dort hin geschafft?

Flow besteht nicht aus dem Flow selbst. Es gibt unterschiedliche Phasen: 1. Ringen, 2. Lösen, 3. Flow, 4. Erholung. Daraus und aus der Wiederholung dieser Abfolge besteht Flow.

Das größte Missverständnis ist, dass Flow „flowy“ sein muss, also nur aus der dritten Phase besteht. Manchmal kommt das einfach so als Geschenk, das gibt es. Aber vorher ist die negative erste Phase. Also, das bedeutet, dass ich selbst diese Phase als negativ empfinde. Und da bleibe ich Kämpfen und Ringen – genau das brauche ich, um überhaupt in den Zustand des Lösens, die zweite Phase, zu kommen. Und wenn ich da wiederholt reingehe: ringen – lösen – ringen – lösen – ringen – lösen... dann kommt das Geschenk Flow ganz plötzlich. Meine message ist aber, dass man beim Ringen schon im Flow-Zyklus ist! Dieser Zyklus des Ringen-Lösens ist viel wichtiger als der Flow-Zustand selbst. Denn erst die Akzeptanz und die Dankbarkeit über diesen anfangs negativ empfundenen Zustand führt überhaupt zum Flow.

Beim Singen hören Menschen oft gerade in dieser Phase auf. Weil es sich unangenehm anfühlt. Man will diesen Imperativ der Verbindung ausleben, aber die Angst, dass man von den Menschen weggeschickt wird, dass sie sagen 'Du gehörst nicht dazu!' ist so groß – das ist eine der größten Ängste, fast so stark wie die Angst vor dem Tod – dass man aufhört und so gar nicht in das Lösen kommt. Bei Menschen, die das auf der Bühne schaffen, spürt man deren Mut und dass sie schon so oft durch diesen Zyklus des Ringen-Lösens gegangen sind. Dadurch wollen sie uns als Publikum in die Verbindung schicken – und für mich ist das ein großes Gefühl der Dankbarkeit. Diese Menschen haben eine Vorreiterrolle, weil wir merken: 'Wow, dieser Mensch geht mit uns durch diese Angst abgelehnt zu werden, um Verbindung zu schaffen.'

Weil ich genau diese Bedeutung so groß finde, ist der Zyklus für mich selbst viel wichtiger als der eigentliche Flow.

 

 

Die Idee des Zyklischen ist spannend! Bei Flow denkt man ja meistens an einen linearen Vorgang, der angeht und dann wieder ausgeht. Was du beschreibst, hat eine ganz andere Dynamik: ein 'Hin und Her' statt eines 'Geradeaus'.

Ja, genau. Man durchläuft oft gar nicht alle vier Phasen (Ringen – Lösen – Flow – Erholung).

Manchmal ist die Übung, nur bis zum Zustand des Lösens zu kommen. Manchmal ist die Übung sogar, nur den Fokus zu finden. Zum Ringen gehört auch immer der Fokus. Man ringt um Lösung und beim Lösen löst sich auch der Fokus, den lässt man damit los. Danach muss aber nicht sofort Flow kommen. Irgendwann, nach wiederholtem 'Ringen (Fokus) – Lösen' entsteht der Zustand des Flows. Dann wabert es im Nervensystem und man merkt 'Jetzt bin ich in der Balance'.

 

 

Das erinnert mich an die Gesetzmäßigkeiten der Natur. Das 'Hin und Her', das du beschreibst, scheint wie ein Wechsel zwischen Polaritäten zu sein – wie Tag und Nacht, Einatmen und Ausatmen – aus deren Kombination überhaupt erst eine Ganzheit, eine Perfektion entsteht. Es wirkt auch wie ein Pumpen, so, wie das Herz pumpt und dadurch Energie entsteht, Leben überhaupt erst entsteht. So wirkt das 'Hin und Her' der ersten Flow-Phasen wie ein Aufbau von Energie, damit Flow entstehen kann.

Besonders das Herz funktioniert ja auch so. Der Herzschlag muss variabel sein, dann ist er gesund. Beim Einatmen sollte er schneller sein, beim Ausatmen langsamer. Nicht die absolute Stabilität ist gesund, sondern diese kleine Varianz, die die Balance herstellt. Das funktioniert aber nur, wenn der ventrale Vagusnerv offen ist. Alle Elemente der Kommunikation und des Singens – die Stimme und das Hören – sind mit diesem Nerv verbunden. Nur, wenn der ventrale Vagus die Führung übernimmt und dieses 'Hin und Her' in uns entsteht, kann ich 'flowen'. Dann kann ich Aufregung ertragen und sie in Sicherheit verwandeln. Und dieses 'Hin und Her' zwischen Aufregung und Sicherheit auf der Bühne schafft den Flow. Das kann man üben.

 

 

Wie kann man das üben?

Indem ich diesen Zyklus (Ringen – Lösen – Flow – Erholung) überhaupt annehme. Es kann auch sein, dass ich mit der vierten Phase, der Erholung, anfangen muss. Ich komme ja aus einem Leben und da ist vielleicht gerade Erholung dran, damit ich Kraft für das Ringen, eigentlich die erste Phase, habe. Wenn ich in dieser Phase bin, muss ich für Ruhe sorgen, im 'Hier und Jetzt' ankommen, mich auf Sicherheit zu fokussieren und dafür sorgen, dass der Raum, in dem ich bin, möglichst wenige Trigger und Reize hat. Es könnte sein, dass ich einen ganzen Tag damit verbringe, den Raum wahrzunehmen und ihn so zu verändern, dass ich nicht 'an' bin, wenn ich den Raum wahrnehme. So, dass ich nicht nach Gefahren suche. Dafür muss alles stimmen: das Licht, die Pflanzen, die Einrichtung... ein Raum für Flow. Das sind dann also die ersten Maßnahmen, damit das Ringen (die erste Phase) überhaupt stattfinden und man den Fokus finden kann.

Viele vernachlässigen das, die kämpfen dann – während sie sich eigentlich auf Singen konzentrieren wollen – mit so vielen anderen Sachen: mit dem Raum, mit den Erinnerungen an diesen Raum, was da geschehen ist, vielleicht sogar einfach nur mit der Farbe des Raumes. Dadurch kommen sie gar nicht wirklich zum Singen.

 

 

Du beschreibst eine ideale Umgebung, ideale Bedingungen für das Nervensystem, um sich unbelastet auf die Herausforderung – ob das das Singen ist oder etwas anderes – einlassen zu können. Das ist aber nicht immer der Fall, oft haben wir nicht diese idealen Bedingungen.

Das stimmt. Das macht aber auch nichts. Wichtig ist, in einem solchen idealen Umfeld zu üben und darin den Flow-Zyklus mehrfach zu wiederholen und dadurch zu üben. Wenn man das kann, dann kann man das egal wo und in jedem Umfeld hinbekommen. Dann passiert ein Wechsel: Ich selbst bin dann der Raum.

 

 

Alles, was du sagst, beziehe ich natürlich auch aufs Yoga oder aufs Meditieren. Im Grunde kann man das auf alles in unserem Leben beziehen.

Ja, absolut. Wenn ich sensibel bin, wird mich so etwas immer ablenken von dem, was ich eigentlich tun wollte. Dann übt man Raumsicherheit, aber nicht das, was man eigentlich tun wollte. Wir sind immer in Verbindung mit unserer Umgebung und so beeinflusst sie unser Nervensystem. Wenn ich das nicht wahrnehme und verstehe, werde ich im Flow-Zyklus nicht vorankommen. Es gibt auch Menschen, die nicht sensibel dafür sind, die gar nichts merken – aber das ist auch nicht gut. Deren Orientierung ist nicht wach, doch genau die braucht man für die Herstellung der inneren Sicherheit. Wenn man das geübt hat, einen sicheren Raum herzustellen, kann man diesen Raum überall hin mitnehmen und diesen Raum dann erschaffen – egal wo. Aber zuerst muss man sich darüber klar werden, was der Raum mit einem macht.

 

 

Okay, ich habe den perfekten Raum. Was ist der nächste Schritt?

Das Jetzt. Das beutet, das jetzige Ereignis wahrzunehmen. Wir haben uns so sehr an die atomare Zeit gewöhnt, also an das, was wir mit Minute und Stunde meinen. Wenn ich in den Flow kommen will, muss ich mich von diesem Konzept von Zeit lösen und nur das Jetzt, das Ereignis wahrnehmen.

 

 

Diese veränderte Betrachtung von Zeit hat also etwas mit der Veränderung unseres Bewusstseins zu tun?

Ja, das hat mit unserem Hirn zu tun, mit dem präfrontalen Cortex. Der muss erst einmal runterfahren. Das Konzept 'Zeit' wird an verschiedenen Stellen im Gehirn gemessen. Im präfrontalen Cortex wird das dann außerdem genau sortiert und mit unseren Erfahrungen in Verbindung gebracht. Dieser Prozess wird kurz runtergefahren. Wir haben uns unbewusst durch den andauernden Zeitstress an die atomare, messbare Zeit gewöhnt. Das ist für den Flow ein riesiges Hindernis, das muss man erstmal ausschalten. Die Wissenschaftler sind immer davon ausgegangen, weil Flow einen starken Fokus bedeutet, dass der präfrontale Cortex dabei ganz aktiv sein muss. Durch die neuen Messungen in den 90er Jahren haben die Forscher aber sehen können, dass im Flow der präfrontale Cortex runtergefahren wird! Der wird vorübergehend langsamer, sodass sich bei dieser Person die Zeitwahrnehmung ändert. Die zweite Vorbereitung für den Flow ist also die Wahrnehmung des Jetzt und damit ein neues Empfinden von Zeit. Im Singen geht das am schnellsten durch die Atmung.

 

 

Nicht nur im Singen! Der Atem kann grundsätzlich ein Anker für den Moment, für das Hier und Jetzt sein.

Ja, natürlich!

 

 

Okay, ich bin also im Hier und Jetzt angekommen. Was ist der nächste Schritt?

Dann kommt die Prosodie. Das ist die Verwandlung der Stimme, ihrer Art, ihres Ausdrucks, sodass sie lebendig wird, anstatt monoton zu bleiben. Die drei Elemente der Prosodie sind das 'Was?', das 'Wie?' und das 'Warum?'. Das 'Was?' bedeutet: 'Worauf soll ich mich fokussieren?'. Und darin stecken wiederum fünf Fragen: 1. die Verbindung der Stimme zu Zwerchfellaktivität, 2. die Fokussierung: Das bedeutet, dass ich den Bereich von 3000Hz in der Stimme fokussiere. Das ist der Bereich, den wir Menschen zuerst hören, wenn wir uns sicher fühlen. Bei den Reptilien zum Beispiel ist das anders, die hören zuerst den tieferen Bereich. Säugetiere hören aber eher die hohen Mitten. Wenn ich als Mensch aber in Gefahr bin, dann funktioniert das nicht, das Trommelfell hat dann eine andere Spannung.

 

 

Eine kurze Zwischenfrage dazu, lieber Rabih. Du hast mir mal gesagt, dass tiefe Töne, Basstöne Angst betäuben. Geht das in dieselbe Richtung?

Ja, das hängt mit der inneren Sicherheit zusammen. Das kann entweder bedeuten, dass eine große Intimität besteht und ich mich hingeben kann – deswegen sind für manche tiefe Stimmen sexy. Für andere aber sind diese tiefen Stimmen gefährlich und bedrohlich. Wie das interpretiert wird, hängt von der inneren Sicherheit ab. Die tiefen Frequenzen sind aber immer an der Grenze der großen Bedrohung, ähnlich wie ein wildes Tier, das uns anknurrt.

Ich kann also beim Singen nicht in den Flow gehen, ohne die Frequenz von 3000Hz im Ohr zu haben, weil sie Sicherheit bedeutet. Wenn ich da nicht bin, ist das ist ein riesiges Hindernis. Eine gute Vorbereitung wäre, dies zu üben – dafür gibt es verschiedene Übungen, die helfen, diesen Bereich zu wecken.

 

 

Okay, zurück zum stimmlichen Ausdruck...

Verbindung und Fokussierung sind also die ersten beiden Elemente des 'Was?' in der Prosodie. Dann kommen Lautstärke, Zurückhaltung und Klangfarbe. Lautstärke heißt wirklich das, was wir aus dem Alltag kennen – laut und leise. Zurückhaltung bedeutet, eine Stimme die viel oder weniger Sehnsucht hat. Und Klangfarbe bedeutet, dass sie dunkel oder hell ist. Verbindung selbst ist etwas, das man so nicht wirklich hören kann, das ist ein körperliches Erleben, aber Fokussierung kann ich hören. Ein gutes Beispiel dafür ist, dass man sich dabei zwischen Hexe – viel Fokussierung – und Teddybär – wenig Fokussierung – bewegen kann. (Rabih gibt mir eine Sprachbeispiel, das mich sehr zum Lachen gebracht hat, aber leider nicht abdruckbar ist...)

Jetzt kommt das 'Wie?'. Und die Frage, die darin liegt, ist: Kann ich hin und her wechseln in der Fokussierung? Als Beispiel: Ich stehe auf der Bühne und habe Probleme. Ich merke, ich verkrampfe und vielleicht kommt sogar gleich eine Lähmung, eine Starre, dann kann ich den Fokus nehmen und verwandle sie ständig hin und her. Wenn ich damit einige Zeit verbracht habe, merke ich, wie ich aus dem Ringen herauskomme und fange an zu lösen.

 

 

Ist das erst einmal ein innerer Prozess, die Fokussierung zu verändern? Oder ist das ein Probieren beim Singen?

Es ist beides. Dadurch, dass du selbst mit Absicht entscheidest, das zu tun, beginnst du diesen Prozess. Und wenn du es dann tust, schickst du dir von außen durch deine Stimme Signale in dein eigenes Ohr. Das bewirkt wiederum, dass der innere Prozess weitergeht. Du produzierst damit selber positive Trigger für dein System durch die Entscheidung, mit deiner Stimme in der Fokussierung hin und her zu wechseln. Das führt zur Herstellung der inneren Sicherheit.

 

 

Also auch das ist wieder ein Zyklus...

Ja! Wenn man diesen Zyklus annimmt, entsteht etwas Gutes. In der Stimmmethodik gibt es das selten, Dinge, auf die man sich wirklich verlassen kann. Es gibt kaum Hilfe oder Techniken für Situationen, wenn gerade nichts geht. Das hier ist anders: Wenn ich diese Elemente des Zyklus annehme, wenn ich merke, ich brauche eigentlich Hilfe von außen, kann ich sie mir durch meine eigene Stimme selbst geben, weil ich selbst einen äußeren Trigger für den inneren Prozess erzeuge. Dadurch hat man etwas, das man selbst entscheiden kann in Zeiten des Ringens und ich habe etwas, auf das ich mich verlassen kann. Wenn ich weiß, wo die Stellschrauben im autonomen Nervensystem sind, die ich brauche, um den Zyklus der Sicherheit in Gang zu bringen, damit ich überhaupt lösen kann, dann ist das eine große Hilfe.

 

 

Wenn ich das, was du beschrieben hast, nicht nur auf die Musik beziehe: Wenn ich also in diesem Jetzt-Moment bin und ich suche Flow egal wo – ob das bei der Arbeit ist, im Yoga, wenn Eltern Zeit mit ihren Kindern verbringen, im Alltag – was kann ich aus diesem Jetzt-Moment heraus tun, damit aus ihm Flow wird?

Dann braucht man zuerst den richtigen Fokus. Mir hilft beim Singen ja der Fokus, die Stimme in den Flow zu bringen. Also muss sich jeder, egal wo er den Flow sucht, fragen: Was ist mein Fokus?

 

 

Ist der Fokus auch in dem Sinne eine Motivation?

Ja, das Ding ist, dass der Fokus das Element ist, das dich am schnellsten in die für den Flow benötigte innere Sicherheit schicken kann. Durch den Fokus merkst du, dass du dich selbst nicht mehr anlügst. Im Ringen können so viele Geschichten entstehen, die wir uns selbst erzählen, die nichts mit der Realität zu tun haben und uns in die falsche Richtung schicken. Wenn du aber den richtigen Fokus hast für die jeweilige Aktivität, wird dadurch diese innere Verblendung - und damit das autonome Nervensystem - gereinigt. Das ist wie ein Push, den man bekommt, wie klares Wasser. Wenn man diese Klarheit und diesen Push öfter erlebt hat, fühlt man sich motiviert und man macht schließlich aus eigener Kraft weiter. Das hast du dann selbst in der Hand. Den richtigen Fokus muss man aber eben erst finden und es kommt immer darauf an, die innere Sicherheit herzustellen, die immer aus dem autonomen Nervensystem und dem Vagusnerv entsteht.

 

FORTSETZUNG FOLGT...

 

...besucht in der Zwischenzeit:

www.rabihlahoud.de

Rabihs Band 'Masaa'

 

... und hört:

Masaa - Fadai

Masaa - Freedomdance

Rabih Lahoud mit Markus Stockhausen "Eternal Voyage"