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Heilung durch das Jetzt.

Das einzig Echte, Wahre ist der gegenwärtige Jetzt-Moment.

 

Alles, was dieser Moment mit sich bringt, ist reale Erfahrung – im Gegensatz zu Vergangenheit und Zukunft, in denen wir uns nur all zu oft verlieren. Diese beiden, nicht gegenwärtigen, Zeitebenen sind nicht real, da sie alleine unserer Phantasie entspringen. Die Zukunft ist noch nicht, wir können nur vermuten und diverse Geschehnisse durchspielen und die finden oft im Worst-Case-Szenario statt. Die Möglichkeiten, was geschehen wird, sind endlos und so verheddern wir uns im Durchdenken, Planen, Sehnen und Sorgen. Auch die Vergangenheit ist nicht real. Wir haben sie zwar erlebt, doch unsere Erinnerungen daran verändern sich mit der Zeit, sie verfälschen sich, ohne, dass wir das bewusst machen und so wird das früher Erlebte nach und nach zu einer Geschichte.

Und: Gerade weil Vergangenheit und Zukunft nicht real sind können wir sie nicht beeinflussen. Die eine Zeitebene war, die andere wird erst sein. Nur, was gerade jetzt geschieht, können wir greifen, verändern und bestimmen.

Genau aus diesem Grund ist dem buddhistischen Prinzip nach Glückseligkeit nur in der Gegenwart zu finden. Die übermäßige Beschäftigung mit Vergangenheit und Zukunft hingegen bringt Leid.

 

Warum fällt es uns dann so sehr schwer, in diesem gegenwärtigen Moment zu verbleiben?

Wer kann von sich behaupten, den ganzen Tag über präsent zu sein?

 

 

 

 

FLUCHT, KONTROLLE, ANHAFTUNG UND ANGST

Wenn wir mit all unserer Wahrnehmung nicht im Hier und Jetzt sind, dann möglicherweise deswegen, weil wir aus dem gegenwärtigen Moment fliehen wollen. Er gefällt uns nicht, vielleicht ist er sogar schmerzhaft. Wir denken vielleicht, dass es einmal schönere, glücklichere Zeiten gab oder aber, dass diese noch bevorstehen und erst unserem zukünftigen Ich vergönnt sind. Der Jetzt-Moment scheint unvollkommen, wir haben etwas verloren oder etwas noch nicht erreicht (denken wir).

 

Ein Festhängen in der Zukunft zeigt unseren Wunsch nach Kontrolle. Durch genaues Planen und Durchdenken bauen wir die Fiktion auf, dass wir uns nicht im Unbekannten und Unberechenbaren (=Angst) bewegen, sondern alles im Griff haben. Oft klappt das sogar – doch wehe, unsere Pläne werden vom Leben durchkreuzt.

 Wir könnten lernen, dass wir in Wahrheit gar nichts kontrollieren können und uns in diese Einsicht hineinentspannen.

 

Das ständige Schwelgen in vergangenen Momenten bedeutet Stagnation. Wir lassen das, was war, nicht los. Ganz gleich, ob es sich dabei um etwas Schönes oder Unschönes handelt. Vielleicht haben wir jemanden verloren, vielleicht können wir jemandem nicht vergeben. Dann haften wir an, versuchen, die Zeit festzuhalten mit dem gleichen Erfolg, wie man Wasser festhalten kann.

Wir könnten lernen loszulassen und dem Fluss des Lebens zu folgen.

 

 

 

MIND ° FUL ° NESS

Mindfulness übersetzen wir als Achtsamkeit. Wenn man sich das englische Wort anschaut, sagt es: Es geht um einen Zustand, in dem unser Geist (mind) vollständig (full) ist.

 

Unsere Aufmerksamkeit zieht sich also von allem zurück, das jetzt gerade nicht da ist.

Gar nicht so leicht, wenn wir jemanden vermissen, wenn wir Schmerzen haben, wenn wir unsicher sind oder Angst haben, wenn so vieles geplant werden muss oder Erinnerungen uns wie schwere Gewichte mit sich in die Tiefe ziehen. Und wenn das Leben so schnell ist, wie es das geworden ist. Mit all seinen technischen Vorteilen – die jedoch auch süchtig machen können (Anhaftung), uns zerstreuen, uns ablenken und unseren Geist noch mehr wie einen Affen von Ast zu Ast springen lässt (Monkey Mind), anstatt einfach mal an einer Stelle zu verweilen.

 

Mindlessness. Unachtsamkeit, Gedankenlosigkeit, Geistlosigkeit ist die Folge. Dieses Zerstreutsein führt zum Nebensichstehen. Sehr unangenehm, wie ich finde. Ich hatte solche Zustände einige Male, als ich noch in meinem früheren Job, PR für Theater, tätig war. Dann wusste ich weder, was ich will, noch wer ich bin, was ich brauche, damit es mir gut geht. Ein sehr freudloses Dasein war das. Für mich war es damals der Auslöser, die Yogalehrerausbildung zu beginnen. Damit ich einmal pro Woche mein Handy für drei Stunden ausschalten musste. Durfte.

Die intensive Beschäftigung mit Yoga, Meditation und Pranayama hat mich wieder zu mir gebracht, meinen mind wieder full gemacht. Und mehr und mehr habe ich gemerkt, was mir schadet. In dieser Konsequenz habe ich das Theaterleben hinter mir gelassen.

 

Achtsamkeit, also die jedem innewohnende Fähigkeit, sich zu sammeln, präsent das Hier und Jetzt wahrzunehmen und aus ihm heraus zu agieren, ist das einzige Heilmittel aus der Unbewusstheit, Zerstreutheit, aus dem Sichverlieren heraus.

Und das ist Arbeit, keine Frage.

Das kann man sich nicht kaufen und schicke Yogaklamotten und die beste Matte helfen auch nicht dabei. Man muss es machen, ständig üben.

 

Einer meiner Lieblingsautoren hat ein Buch mit dem Titel verfasst: „There is no App for happiness. How to avoid a nearlife-experience.“ („Es gibt keine App fürs Glücklichsein. Wie man eine Nah-Lebenserfahrung vermeidet.“) geschrieben. Auch das drückt unsere Tendenz zur Unbewusstheit aus, dass wir unser Leben verpassen, wenn wir nachlässig sind und daran nichts ändern.

Präsent sein heißt glücklich sein! Selbst, wenn der gegenwärtige Moment nicht perfekt oder gar schmerzhaft ist. Er ist der einzige, den wir haben.

 

 

 

ACHTSAMKEIT UND PRÄSENZ ÜBEN

 

Saved by the bell

Im letzten Artikel hatte ich über die Mindful Bell, den Gong, der bei mir alle 20 Minuten ertönt, geschrieben. Ich empfinde das als die simpelste Methode. Ich habe gemerkt, dass ich das Innehalten automatisch ausgedehnt habe auf andere Auslöser: die Kirchenglocken, eine SMS, wenn jemand meinen Namen ruft. Ganz von selbst atme ich tief durch, nehme wahr, was gerade ist, nehme die Erde unter mir und die Weite über mir wahr.

„Saved by the bell.“ heißt eine amerikanische Serie, die ich als Teenie geschaut habe. Der Titel bezog sich auf die Erlösung der Schüler durch die Schulglocke: Endlich ist die Stunde rum! Saved by the bell hat für mich nun eine ganz andere Bedeutung bekommen.

Thich Nhat Hanh sagt, die Glocke ist der Buddha. Wann immer sie erklingt, können wir uns mit ihm – und das ist gleichbedeutend mit dem Zustand des bewussten Sein – verbinden.

Buddha bedeutet: der Erwachte. Nicht-Präsenz und Unbewusstheit bedeuten also, dass wir schlafen, während wir denken, dass wir leben. Unser Leben verschlafen.

 

Präsenzpunkte berühren.

Hierfür kannst du sitzen, liegen oder in einem etwas breiteren Stand stehen.

Eine Handfläche legst du auf den Bereich direkt unterhalb des Bauchnabels, die andere Hand auf dein Herzzentrum. In der fernöstlichen Lehre sind das zwei Hauptenergiezentren: der obere und mittlere Dantien.

Nun atmest du bewusst ein und aus, ohne deinen Atem zu lenken. Du schaust nur zu, beobachtest ihn. Dabei achte ganz besonders auf die kurzen Pausen zwischen dem Ein- und Ausatmen. Hier findest du den Jetzt-Moment.

 

Aufmerksamkeitsinseln lösen.

Das ist eine wirksame Übung, die ich mir angewöhnt habe.

Schließe dafür die Augen und lasse die Gedanken strömen. Lasse dich nicht in die Geschichten der Gedanken hineinziehen oder verwickeln, du schaust nur zu und machst eine Art Bestandsaufnahme: Was ist aktuell alles in meinem Kopf los? Wohin wandern meine Gedanken? Wen oder was lasse ich dadurch in meine Energie?

Das können Zustände, Menschen, Orte, Zeiten, Dinge, ToDos sein, im Grunde alles, womit sich die Gedanken beschäftigen.

Visualisiere nun diese einzelnen Themenbereiche als kleine Inseln, die um dich (die Hauptinsel) herum im Wasser schwimmen. Diese Inseln sind mit Seilen oder Tauen mit dir (der Hauptinsel) verbunden. Nun kannst du sie nacheinander entweder losbinden oder mit einem Messer, einem Schwert, einer Schere oder ähnlichem durchtrennen. Sie schwimmen fort, werden vom Meeresstrom ganz einfach fortgetragen und du, die Hauptinsel, ist nun für eine Weile für sich.

Mit dieser Übung sammelst du deine Energien ein, anstatt sie im Außen zu verschwenden und bringst sie zu dir nach Hause zurück.

Nimm dir so viel Zeit, wie du brauchst.

 

Gathas: Achtsamkeitsverse.

Wer als Novize, als junger Mönch, in ein buddhistisches Kloster kommt, lernt Verse der Achtsamkeit, die sogenannten Gathas, die aus alten buddhistischen Schriften stammen. Diese Verse kommentieren, beschreiben und begleiten jede einzelne Tätigkeit, sodass man durch sie alles viel bewusster wahrnimmt und diese Wahrnehmung zudem mit Wertschätzung und Dankbarkeit anreichert. Dafür muss man weder Mönch noch Nonne sein, jeder kann sie für sich anwenden und damit zu einem bewussteren, wertvolleren Leben finden.

Thich Nhat Hanh bringt diese Mini-Gedichte seinen Mönchen und Nonnen, aber auch seinen Gästen im Kloster bei. Man kann die althergebrachten nutzen, aber auch selbst welche kreieren. Hier sind einige Inspirationen aus dem Kloster:

 

 

Mit dem ersten morgendlichen Bewusstseinsstrahl beginnt die Übung...

„Ich wache auf und lächle.

Vierundzwanzig funkelnagelneue Stunden liegen vor mir.

Ich gelobe, jeden Moment voll und ganz zu leben

und alles Sein mit den Augen des Mitgefühls zu betrachten.“

 

...und begleitet durch den ganzen Tag…

„Sich hier setzen,

bedeutet, unter dem Bodhibaum zu sitzen.

Mein Körper ist reine Achtsamkeit

befreit von Zerstreuung.“

 

...passend, für jede Gelegenheit…

„Ich bin angekommen, ich bin zuhause,

im Hier und im Jetzt,

ich bin fest, ich bin frei,

im Ultimativen verweile ich.“

 

...auch für die, die man lieber verschweigt…

„Sacred toilet paper,

Coming from a tree.

I see clearly,

The FOREST is with me.“

...auf englisch hört es sich poetischer an. Übersetzt in etwa:

„Heiliges Toilettenpapier, du kommst von einem Baum. Ich sehe ganz klar, der WALD ist bei mir.“

 

danach das Händewaschen nicht vergessen...

„Wasser fließt über meine Hände.

Möge ich sie gekonnt nützen

und unseren prächtigen Planeten schützen.“

 

 

 

 

Wie fühlt sich dieser Moment jetzt gerade an?

 

Und der Moment jetzt?

 

Und jetzt?

 

 

 

 

 

 

Quellen

https://plumvillage.org/articles/creating-gathas-mindfulness-at-play/

https://hilftachtsam.de/gathas-fuer-ein-achtsames-leben/

 

 

Weiterlesen

Thich Nhat Hanh „Ich pflanze ein Lächeln“

Thich Nhat Hanh „ Ich wache auf und lächle“