Was ist Alignment überhaupt?
Alignment ist die richtige Ausrichtung des Körpers. Im Yoga wird diese richtige Ausrichtung durch Hands on-Adjustments und durch verbale Anleitungen und Korrekturen durch den Lehrer in den Unterricht miteinbezogen. Yogastile, die darauf besonderen Wert legen, sind Ashtanga und IyengarYoga.
Ich selbst bin durch das AshtangaYoga intensiv mit dem Thema Alignment in Kontakt gekommen und ich war begeistert von der möglichen Präzision mit der man üben und ansagen kann und wie viel ich dadurch über den Bewegungsapparat gelernt habe. An mir selbst, aber auch an meinen Schüler°innen und Yoga-Auszubildenden.
Die Anleitung der richtigen Ausrichtung des Körpers in Asanas ist wichtig, weil wir alle tendenziell nicht gerade, symmetrisch, neutral sind. Manchmal ist das angeboren, auch Unfälle, OPs, Geburten sind ursächlich, meist aber haben wir uns eine fehlerhafte Körperökonomie der Art der Bewegung und Haltung angewöhnt.
Durch klares Alignment konnte ich meine O-Beine, die ich durch 11 Jahre Reiten bekommen hatte, wieder „gerade biegen“; das hat mich fasziniert und ich habe es geliebt, andere Menschen zu adjusten und dadurch auch ihre Körper in die richtige Haltung zurückfinden zu lassen.
Bis ich an Grenzen stieß und durch mehr und mehr gesammelte Erfahrung merkte, dass ich „richtige Ausrichtung“ umformulieren muss in „gesunde Ausrichtung“ und dass „richtig“ für jeden einzelnen Menschen etwas komplett anderes bedeuten kann.
Und darin liegt das Dilemma des Alignments.
Wenn einfach nur Regeln aufgestellt werden, wie eine Yogahaltung auszusehen hat und wie nicht, ohne das Individuum zu betrachten, dann kann mit der Zeit aus der richtigen Ausrichtung ein schmerzhafter Körper hervorgehen oder auch einfach nur das Gefühl, falsch zu sein, nichts zu können und die Freude am Yoga schwindet. Zurecht.
ALIGNMENT IST EMBODIMENT
An mir selbst habe ich erfahren, wie groß der Unterschied zwischen der „richtigen“ und der „gesunden/individuell richtigen“ Haltung sein kann. Und zwar als ich mir nach Jahren der Ashtanga-Praxis erlaubte, nicht die für diesen Stil typische Grundstellung der Füße in Samasthitihi einzunehmen. Da sollen eigentlich die Füße eng zusammenstehen, zumindest sich die großen Zehen berühren. Als ich meine Füße einmal in den Tadasanastand umstellte, also hüftbreit, merkte ich, dass ich jetzt auf einmal meine Bandhas (Spannung im Beckenboden und Unterbauch) setzen konnte und dass ich in der engen Fußstellung viel zu viel Spannung in den Beinen und Knien hatte, außerdem eine Außenrotation der Beine, die nicht sein sollte.
Das klingt zunächst banal, doch als ich für mich persönlich richtig stand, habe ich zum ersten Mal gespürt, was Erdung ist: Sicherheit, die sich über die Füße und den Rest des Körpers bis hoch zum Scheitel fortsetzt. Ein tiefer, ruhiger Atem. Stabilität im Körperzentrum (Bandhas).
Also ganz und gar nicht banal.
Ich habe verstanden, was es bedeutet, wie es sich anfühlt, wenn der Körper sich sicher fühlt. Dann lösen sich Spannungen ganz von selbst. Dann beruhigen sich Emotionen ganz von selbst und auch die Gedanken. Und eine Klarheit auf allen Ebenen setzt ein.
Das ist das Nervensystem. Es reagiert auf alles um uns herum und in uns. Wenn das Nervensystem nur die kleinste negative (also gefahrvolle) Situation verspürt, reagiert es, indem es an alle Bereiche unseres Körpers (Organe, Hormone, Kreislauf, Atmung, Energie) entsprechende Informationen sendet. In dem für mich falschen Stand waren das Informationen des Sympathikus (Kampf, Flucht, Starre), in der für mich richtigen Haltung der Parasympathikus (Entspannung und Regeneration).
Und hier ging es nur um das Stehen.
Wenn man all die unterschiedlichen Asanas bedenkt, für die jede°r seine und ihre richtige Ausrichtung finden muss – oder besser: finden darf. Dann ist das eine regelrechte Entdeckungsreise. Auf dieser Reise findet man Embodiment: Das Gefühl, in seinem eigenen Körper zu Hause zu sein, sich wohlzufühlen.
Bei meinen Schülerinnen und Schülern habe ich unzählige Male miterlebt, wie sie versucht haben, ihren Körper in eine bestimmte Haltung zu zwingen und haben das äußere Auge – den Lehrer, den Spiegel oder Abbildungen aus einem Buch – bestimmen lassen, was richtig ist. In vielen Fällen hat das nicht nur zu Unsicherheiten, wie oben beschrieben, geführt, sondern auch zu physischen Schmerzen und sogar zu Verletzungen.
Alignment soll bewirken, dass Gelenke, Muskeln, Sehnen und Bänder perfekt zusammenarbeiten, als ein Ganzes und dass es nicht zu Fehlbelastungen und in Folge dessen zu Schmerzen, Verletzungen und Verschleiß kommt.
Klare Regeln für ein gutes Alignment gibt es nicht, denn der Körper, ganz besonders die Knochenstruktur, die Ausrichtung der Knochen und wie der Knochen im Gelenk sitzen, ist bei jedem Menschen unterschiedlich. Dadurch und auch durch die Grundfestigkeit des Körpers (Muskeln und Faszien) unterscheidet sich die jeweilige Beweglichkeit bzw. Stabilität enorm.
Frauen und Männer haben große anatomische Unterschiede. Die beiden Geschlechter haben nun mal auch unterschiedliche Organe mit anderen Funktionen, die Körper sind für unterschiedliche biologische Aufgaben „gebaut“ worden. Das macht was mit uns und das können wir im Yoga nicht einfach ignorieren – bei allem Wunsch des Gleichseins. Auch das Alter macht vieles aus, der Lebenswandel sowie physische und emotionale Belastungen.
Wenn man ein gutes Auge hat und genau hinschaut, sich als Lehrer°in Zeit nimmt und nicht nur die Gruppe sieht, sondern auch den Einzelnen, kann man sehen, ob jemand in der gesunden Ausrichtung ist. Am wichtigsten ist aber die Erfahrung des Praktizierenden. Lehrer können Angebote machen und die Schüler gehen in ihre Eigenverantwortung, erfahren und spüren die Asana und ihren Körper darin – und entscheiden selbst. Yogi's choice.
ALIGNMENT IST ANPASSUNG
Anpassung ist einer der wichtigsten Aspekte des Lebens und Überlebens – der Evolution.
Daher habe ich mein Yoga „YogaEvolution“ genannt. Es bringt uns in die Entwicklung, anstatt dass wir in festen, rigiden Formen stagnieren, die an überholten Traditionen festhängen. Wie sich das anfühlt, habe ich selbst erlebt, als ich in einem Retreat durch die vielen Chaturangas meine Handgelenke so sehr überlastet habe, dass ich nicht sicher war, ob sie wieder heilen würden. Anstatt auf meinen Körper zu hören, hat mein Ehrgeiz mich befeuert bis gar nichts mehr ging. Mittlerweile mache ich kaum noch Chaturangas, inspiriert von der Yogalehrerin Julie Martin, die die Weiblichkeit im Yoga betont und dadurch gezielt manches nicht nur anpasst, sondern auch weglässt. In ihren waving vinyasas bewegt man sich aus dem herabschauenden Hund in einer Wellenbewegung in eine Planke mit gestreckten Armen und von dort aus direkt in den herabschauenden Hund mit aufgestellten Zehen. Seitdem habe ich keine Probleme mehr mit den Handgelenken.
Bei einer Schülerin habe ich erlebt, dass sie durch den herabschauenden Hund an Taubheitsgefühlen in ihren kleinen Fingern bis hoch in die Arme litt. Nicht nur während der Yogapraxis, sondern auch nachts während der Erholungsphase. Sie hat versucht, die strikten Ansagen ihrer Yoga-Ausbilderin zu befolgen, was die Ausrichtung der Hände angeht und dadurch – weil für sie, für ihren Körper, unpassend – ihre Nerven eingeklemmt. Bei vielen anderen habe ich gesehen und wurde mir berichtet, wie sich Nacken und Schultern chronisch verspannten durch die für sie falsche Handhaltung im Hund.
Einfach nur die Finger ein wenig bis ein wenig mehr nach außen zu drehen, hilft den Knochen, den Gelenken und der Muskulatur im herabschauenden Hund und anderen handgestützten Haltungen in die gesunde Haltung zu finden. Die Ansage, dass der Mittel- oder Zeigefinger nach vorne zeigen muss, ist für viele sicher richtig. Für viele andere aber nicht.
Dasselbe gilt für Fußstellungen. Manche Menschen müssen ihre Füße nach außen drehen, um in einen geraden, neutralen Stand oder Langsitz kommen zu können. Das liegt an deren spezieller Ausrichtung von Knien und Hüfte. Bis ich das erkannt und infolgedessen verstanden habe, dass für manche Körper die absolut gegenteilige Anleitung und Ausrichtung gesundes Alignment bedeutet, habe ich viele Jahre gebraucht.
Dadurch bin ich in Adjustments viel vorsichtiger und achtsamer geworden und auch bei meinen verbalen Ansagen: ausprobieren und spüren, was sich richtig anfühlt, ist wichtiger als klare Ansagen runterzubeten.
PLAY!
Was im Yoga oft fehlt, ist die spielerische Seite. Man darf auch mal oder auch immer kreativ sein und ausprobieren!
Dass das spielerische Element fehlt, liegt oft nicht nur am Lehrer, der unbedingt an bestimmten Regeln festhalten will. Oft sind es auch die Schüler°innen, die keine Geduld haben, etwas auszuprobieren – der Flow ist wichtiger. Oder aber sie wollen eine klare Ansage haben: Was ist falsch, was ist richtig?
Als Lehrer°in wirkt man schnell unwissend, wenn man keine klare Antwort gibt und legt sich dann eben doch fest. Davon rate ich ab. Probieren geht über studieren! Statt Erklärungen nimmt man die Schüler°innen mit auf eine kleine Erfahrungstour, übt dieselben Asanas mal so, mal anders und zeigt verschiedene Möglichkeiten auf. Wenn man sich darauf einlässt, kann man lernen, dem Fühlen zu folgen anstatt dem äußeren Anschein.
ALIGNMENT ERFAHREN
Was ein freier und zugleich stabiler Körper ist, habe ich ganz intensiv im QiGong erfahren. Die geschmeidig-fließenden Bewegungen im Stand bewirken genau das. Sie beginnen und enden immer mit einer Standhaltung, einer Variante der Berghaltung aus dem Yoga. Diese Haltung heißt "Wuji".
In ihr ist man in einer so perfekten Ausrichtung, dass alles im Fluss und alles miteinander verbunden ist. Innerhalb des Körpers und auch die Erd- und kosmische Energie, die von unten und oben durch den Körper fließen.
Dadurch können wir Grenzenlosigkeit erfahren, weil wir uns nicht mehr getrennt und so auch nicht mehr limitiert fühlen, stattdessen "alleins".
Die Wuji-Haltung ist eine stehende Meditation und kann mehrere Minuten lang gehalten werden.
Die Wuji-Haltung.
- Begib dich in einen etwas mehr als schulterbreiten Stand, die Zehen zeigen nach vorne (außer, das fühlt sich für die Knie nicht gut an).
- Die Füße sind gleichmäßig belastet: zwischen linkem und rechtem Fuß und innerhalb des Fußes auf seine vier „Ecken“: kleiner und großer Zeh, Ferse innen und außen.
- Die Beine sind leicht gebeugt, sodass der untere Rücken etwas flacher wird.
- Die Hüfte ist entspannt und sinkt schwer in Richtung Boden (ohne sich tatsächlich zu bewegen).
- Der Beckenboden wird ganz leicht verschlossen und bleibt dennoch entspannt, das heißt, es fühlt sich nur nach einer ganz leichten Kontraktion an. Ebenso der Unterbauch: eine ganz leichte Kontraktion nach innen-oben, ohne unnötige Spannungen im Bauch.
- Das Brustbein ist weit und frei, leicht gehoben.
- Die Wirbelsäule ist senkrecht zum Boden ausgerichtet – lehne dich also weder vor noch zurück. Und der Kopf balanciert so auf der Halswirbelsäule, dass in Nacken und Schultern keine Spannung entsteht.
- Die Krone des Kopfes zieht in Richtung Himmel.
- Öffne die Achseln, indem du die Handrücken leicht nach vorne drehst, die Ellbogen sind ein wenig gebeugt.
- Die Zunge berührt sanft den Gaumen, die Zungenspitze berührt dabei die Schneidezähne.
Nun stehst du so, dass kaum Widerstand für den Energiefluss entsteht, Meridiane und Organe sind frei, Yin und Yang sind in Harmonie. Und dieser harmonische Fluss bedeutet Heilung.
Das ist eine Übung, in der du dein Alignment bewusst ausrichtest. Kannst du die Idee und die Absicht des Alignments in deinen Alltag bringen?
In die Art und Weise, wie du stehst, gehst und sitzt, wie du arbeitest, aufs Handy schaust, am Computer arbeitest?
Dein Nervensystem wird begeistert sein.
Wenn du Unterstützung dabei suchst, deine Yogapraxis persönlicher zu machen, deine Art, dich zu bewegen zu finden und dich von unpassenden Regeln zu befreien, helfe ich dir gerne!
Im Einzelunterricht via zoom können wir deine Fragen klären, deine ‚schwierigen Stellen‘ anschauen, deine Positionen verändern und anpassen.